Die Organisation, der Aufbau und das Konstrukt unseres Körpers ist faszinierend und beeindruckend. Was wir in der Osteopathischen Praxis unter unseren Händen haben beinhaltet weit mehr als nur Rücken, Köpfe oder Kniegelenke. Oft sprechen wir nach der Behandlung von den Strukturen, der Muskulatur, den Bindegeweben und den Faszien und versuchen Ihnen den Zusammenhang mit Ihrer Einschränkung näher zu bringen. Doch was sind eigentlich Faszien?
Hinter dem Begriff "Faszie" steckt ein umfassendes System, welches sich als zusammenhängendes Faszien-Netzwerk durch den gesamten Körper fortsetzt und damit alle faserigen kollagenhaltigen Bindegewebsstrukturen des menschlichen Körpers beinhaltet.
Es wird auch von "der" Faszie, also nur "einer" Faszie gesprochen, da sie jeden unserer Muskeln umgibt, vom einen in den nächsten übergeht und damit Verbindung von Kopf bis Fuß schafft.
Durch die Umhüllung und den Zusammenhalt sämtlicher Strukturen hilft sie uns, Organe, Muskeln, Knochen und Gelenke an ihrem festen Platz zu halten. Hierbei ist sie so gut gebaut, dass sie sich je nach lokaler Anforderung mit unterschiedlicher Dicke und Festigkeit für die richtige Formgebung und den Formerhalt anpassen kann.
60 kg Zug auf 1mm Faszie
Dass eine ein Millimeter dicke Faszie eine 60 Kilogramm Zugkraft aushalten kann, damit extrem reißfest ist und eine hohe Anpassungsfähigkeit aufweist, ist nur eine spannende Entdeckung aus der Vielzahl an wichtigen Arbeiten und Forschungen rund um das Thema Faszien vom international bekannten Faszienforscher Dr. Robert Schleip.
Er unterstreicht immer wieder den faszinierenden Balanceakt zwischen Stabilität und flexibler Geschmeidigkeit
unserer Faszien.
Die Konsequenz im Bezug auf unseren Körper:
Wer das Gewebe elastisch und widerstandsfähig erhält, hat den bestmöglichen Schutz gegen vielfältige
Beschwerden.
Wird das Fasziennetz vernachlässigt, kommt es hingegen früher oder später zu Verspannungen und Schmerzen, Verletzungen oder
auch Zerrungen.
Faszien verkleben
Bewegungsmangel, ungleichmäßige Beanspruchungen, Fehlhaltungen oder auch Überlastungen können
Verklebungen des Fasziengewebes zur Folge haben: Sie ziehen sich zusammen und verkleben!
Auch Schonhaltungen, die beispielsweise durch Schmerzzustände entstehen, können zu einem Verlust der Leistungsfähigkeit und zu einem "zusammenzurren" der Faszien führen. Dem Faszien-Netzwerk haben wir dann leider zu verdanken, dass auch benachbarte Muskeln verhärten: So beeinflussen sich Faszien Einschränkungen einander auch negativ und durch eine Verkürzung oder Verklebung an einer Stelle der Faszie, kann sich die Zugkraft an anderer Stelle verstärken.
Ein geschmeidiges Bindegewebe ist einzig durch Regelmäßigkeit und Nachhaltigkeit aufrechtzuerhalten.
Studien zufolge verändert sich im Gegensatz zu trainierter Muskulatur, eine
fasziale bindegewebige Hülle nur langsam, dafür aber dauerhaft. Und das häufig mit Erfolg!
Da das Fasziennetz den ganzen Körper durchdringt, lassen sich mit der Behandlung und einem Training
der Faszien die häufigsten Beschwerden unseres Bewegungsapparates
(Rückenschmerzen, Verspannungskopfschmerzen oder Knieprobleme) im Idealfall oft wirksam und mit Erfolg beseitigen.
Geduldiger Einsatz ist hierbei lohnenswert, schließlich haben Sie Ihre Faszien die
letzten Jahre und Jahrzehnte auf den aktuellen Ist-Zustand hintrainiert.
Für das Faszientraining zu Hause genügen ca. 10 Minuten an drei Tagen in der Woche. Hierzu beraten wir Sie gerne und sprechen mit Ihnen gemeinsam über die wichtigen Bereiche, sowie den richtigen Umgang mit dem richtigen Equipment.
... & ob wir Ihnen überhaupt empfehlen, neben der Behandlung weiteres Training zuhause durchzuführen,
hängt ganz von Ihrem Faszien Netzwerk ab =)
PS:
Andrew Taylor Still, der Begründer der Osteopathie, sieht die Faszien noch mit ganz anderen Augen:
"Die Seele des Menschen mit all ihren Strömen puren Lebenssaftes scheint in den Faszien des Körpers zu fließen."
Durch die Ausstattung der Faszien mit zahlreichen Nervenenden geben sie unentwegt Informationen an unser Gehirn weiter. Sie sind also auch entscheidender Sitz unserer Empfindungen.
Auch Dr. Schleip nahm diesen Aspekt in seine Forschungen auf und konnte zeigen, dass emotionaler Stress die Beschaffenheit der Faszien beeinflusst und sich hohe Stressspiegel auf die Gewebespannung auswirken können.
Quellen
"Lehrbuch Faszien: Grundlagen, Forschung, Behandlung" Schleip, Robert (Herausgeber) , Erscheinungsdatum 08/2014,
ISBN 9783437553066
"Faszien-Fitness" Robert Schleip mit Johanna Bayer, Riva Verlag 2014, ISBN 9783868834833
"Faszien - Gewebe des Lebens" Peter Schwind, Irisiana Verlag 2014, ISBN 9783424152593
http://www.fasciaresearch.de/medtrib1.pdf
"Passive muscle stiffness may be influenced by active contractility of intramuscular connective tissue."
Schleip R, Naylor Il, Ursu D, Melzer W, Zorn A, Wilke HJ, Lehmann-Horn F, Klingler W. PMID: 16209907
http://www.somatics.de/Dt-Osteop_FaszienManTher.pdf
"Die Faszien im Alter" Karl F. Haug Verlag in Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York,
Artikel von Eva Möckel aus der Deutschen Zeitschrift für Osteopathie DO 2016; 14(01): 17-21